群衆のなかの個人 : ヘルマン・ブロッホの群衆論(2.群衆の観相学-カネッティ・モデル,<特集>群衆と観相学/群衆の観相学)

概要

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Hermann Brochs unvollendete Arbeiten zur "Massenwahntheorie" haben wegen ihres theoretischen interdisziplinaren Charakters und auch wegen der Undurchsichtigkeit ihrer Form einer zusammengesetzten fragmentarischen Textsammlung bisher wenig Resonanz gefunden, obwohl sie sowohl fur die Broch-Forschung wie fur die Massentheorien im allgemeinen wichtige Einsichten vermitteln konnten. Um diesem schwierigen Text naherzukommen, erscheint es angebracht, die Genese und Verwandlung seiner Massentheorie und deren Stellung in seinem Gesamtwerk in Betracht zu ziehen. In diesem Aufsatz wird daher versucht, Brochs Auffassung der Massen und Massenwahnerscheinungen zunachst in seinen fruhen Schriften, dann in seinen groβen Romanen und zuletzt in der "Massenwahntheorie" herauszuarbeiten, um festzustellen, welche Konsequenz daraus gezogen wird. Schon 1918 ubte Broch in einem offenen Brief Kritik an der Volksmasse der Novemberrevolution; sie sei bloβ eine in billige Ekstase geratene falsche Gemeinschaft ohne Wahrheitsgefuhl. Zudem machte er an dieser Stelle darauf aufmerksam, wie verfuhrerisch das Gemeinschaftsgefuhl ist und wie leicht eine Gemeinschaft zur hohl erregten Masse und zum Plundererverband entarten kann. Sein spater Roman "Der Tod des Vergil" fangt mit der Szene an, in der der sterbende Vergil als erkennender Einzelmensch dem tierischen Groβstadtpobel gegenubergestellt ist. Brochs Grauen vor der Erscheinung der Massen scheint das ganze Leben lang konstant gewesen zu sein. In seinen Werken stoβen wir oft auf die gleichen bzw. auf verwandte Motive und Denkweisen. Dabei kann der Begriff "Schlafwandeln", der als Schlusselbegriff der Romantrilogie "Die Schlafwandler" gilt, mit dem Begriff "Dammerzustand" in der "Massenwahntheorie" verglichen warden. Beide Begriffe stellen einen "Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit" vor. Wahrend "Schlafwandeln" eine Hoffnung auf eine Erweckung aus dem Schlaf in sich tragt, kann man den "Dammerzustand" eher als niedrigere und negative Stufe des Menschenbewusstseins ansehen. Allerdings scheitem alle Protagonisten der Trilogie an der Wirklichkeit des Wertezerfalls ohne zu erwachen. Sie scheinen in der Massengesellschaft manchmal "dahinzudammern", wahrend der Erzahler allein auf eine Erweckung und den Wiedergewinn des Wertzentrums hofft. Ubrigens deuten auch noch andere Motive, wie z.B. "Physiognomielosigkeit" und "Namenlosigkeit", "Sehnsucht nach dem Fuhrer", "Anti-Christ" als Vorlaufer Christi etc. Grundzuge der "Massenwahntheorie" bereits an. Im Novellenroman "Die Schuldlosen" finden wir wieder einige Hauptpersonen, die in den "Dammcrzustand" oder in die Namen- und Physiognomielosigkeit geraten sind; in diesem Roman wird ihre Gleichgultigkeit vor den Greueltaten der gegenwartigen Gesellschaft hart verurteilt. Der "Bergroman" thematisiert gerade den Massenwahn und das Masse-Fuhrer (Verfuhrer)-Verhaltnis. Wenn man diesen unvollendeten Roman vom Standpunkt der Faschismus- und Nazismuskritik liest, kommt man zu der Erkenntnis, dass die Psychologic des Einzelnen in der verfuhrten Masse hochinteressant ist. Hier wird einsichtsvoll dargestellt, dass die Menschen jeweils ihre eigenen Wunschbilder in der (Ver) fuhrer-Gestalt finden und dadurch in den Massenwahn geraten. Angesichts der kritischen politischen Lage im damaligen Europa setzte sich Broch im amerikanischen Exil intensiver als vorher mit politischen und theoretischen Fragestellungen auseinander. Einen Uberblick uber das geplante groβe Werk zur Massenpsychologie verschafft uns der 12. Band der Kritischen Ausgabe, "Massenwahntheorie", in dem die Manuskripte aus Brochs Nachlass annahernd nach dem vorlaufigen Inhaltsverzeichnis, das Broch selbst fur eine Bewerbung um ein Stipendium geschrieben hat, ediert worden sind. In dem ersten und dem zweiten Teil der "Massenwahntheorie" werden methodologische theoretische Bemerkungen und phanomenologische, psychologische bzw. historische Analysen der Broch eigentumlichen Begriffe wie z.B. "Dammerzustand" und "Ich-Bewuβtsein", "Gesetz psychischer Zyklen", "Irrationalbereicherung und Ich-Erweiterung", "Rationalverarmung und Ich-Verengung", "offenes oder geschlossenes System" "Panik und Superbefriedigung", "Massenwahn und Fuhrerschaft" ausgefuhrt. Hier finden wir Analogien, Weiterfuhrungen, Entwicklungen und Prazisierungen der Theorie des "Zerfalls der Werte" und seiner anderen Denkmodelle. Dabei soil betont werden, dass Broch nicht an die "Massenseele" sondern an die "Einzelseele" denkt. Der dritte Teil, der "Der Kampf gegen Massenwahn" uberschrieben ist, behandelt eine Psychologic der Politik. Hier unterscheidet sich Brochs Massenwahntheorie von sontigen Massenpsychologien dadurch, "daβ er [...] die 'Bekehrung' der Massen zur Demokratie ins Zentrum seines Buches stellt." Broch fugt zum mythischen und religiosen Weg des "Bergromans" zum neuen Wertzentrum und zur Rehabilitierung der Absolutheit einen anderen Weg hinzu, namlich den politisch konkreten Weg der Demokratie. Er behauptet, dass man die "Total-Demokratie" braucht, um den totalitaren Faschismus oder Kommunismus zu bekampfen. Allerdings ist seine Demokratie-Auffassung nicht als realpolitisch, sondern als eine "Geisteshaltung" bzw. "Ethik schlechthin" zu verstehen. Nach seiner Meinung soil Demokratie als unentbehrliche Momente Anstandigkeit, nuchterne Rationalitat, Glaube an die Gleichheit aller Menschen, Anti-Versklavung, Unverletzbarkeit der Menschenwurde und Menschenrechte, Humanitat usw. gewahrleisten. In diesem ethisch-idealistischen Sinne nennt er die Demokratie etwas "Irdisch-Absolutes". Broch vertritt eine konservative negative Auffassung der "Masse", weil er auf die Verantwortung und die Ethik des Individuums groβen Wert legt. Als einen weiteren Grund fur seine negative Einstellung zur Masse konnte man hinzufugen, dass er gerade in jener schwierigen Zeit gelebt hat, in der sich die Massenerscheinung allzu schnell in tatsachlichen Massenwahn verwandelt hat.
2006-10-30

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